Wie die Kirchengemeinde Heimat wurde

Der Journalist Zemenu Tenagne floh aus Äthiopien und fand in Kassel Schutz und Hilfe

Wenn man Zemenu Tenagne fragt, wieso er Journalist wurde, lächelt er. Sein Vater, so erzählt er, war eine Art Dorfvorsteher in der äthiopischen Heimat. Jeden Tag besorgte er eine Zeitung und irgendwann hatte er als Einziger weit und breit ein Radio.

Der kleine Zemenu wunderte sich über den sprechenden Kasten und glaubte, da säßen kleine Menschen drin. Doch sein Vater erzählte ihm, dass die Stimmen aus der Hauptstadt kämen und dort Journalisten sprächen. Und genau so einer könne der Sohn auch werden. Der Vater durfte nicht mehr miterleben, wie Zemenu sich diesen Traum Schritt für Schritt erfüllte; wie er studierte, Bücher veröffentlichte und schließlich im Politikressort der Zeitung „The Ethiopian Reporter“ in Addis Abeba arbeitete.

Doch die Lage in Äthiopien ist nicht gut. Das Auswärtige Amt warnt vor Terrorismus und bezeichnet die Sicherheitslage als „volatil“ – im Norden des Landes herrscht Bürgerkrieg. Tenagne berichtete über solche Konflikte. Es habe Drohungen gegen ihn und seine Familie gegeben. Details erzählt er ungern, doch das Wort „Gefängnis“ fällt. Er entschloss sich zur Flucht.

Er suchte nach Sicherheit

Er habe Sicherheit gesucht, egal in welchem Land, sagt der 35-Jährige. Er landete in Deutschland, hatte aber ein Visum für Polen. Dorthin wurde er von den deutschen Behörden geschickt und lebte in einem Lager.

Es war keine leichte Zeit, Tenagne spricht von Depressionen und „Katastrophen“, von einem System, das ihn beinahe umgebracht hätte. Immerhin sei es ihm gelungen, nicht auf die schiefe Bahn zu kommen – auch, weil er einen starken Glauben habe; er ist orthodoxer Christ.

Irgendwann sei der Ausweisungsbescheid gekommen. Zemenu Tenagne erinnerte sich an Kassel, wo er einige Zeit in einer Massenunterkunft gelebt hatte. Irgendwann klopfte er bei Pfarrer Stefan Nadolny an der Neuen Brüderkirche an. „Stefan hat seine Tür für mich geöffnet“, erzählt er. Der Pfarrer hörte sich seine Geschichte an, legte sie dem Kirchenvorstand vor und dieser beschloss, Tenagne in ein Kirchenasyl aufzunehmen. Damit wurde eine Abschiebung verhindert, inzwischen läuft ein reguläres Asylverfahren in Deutschland. „Das war wie eine Wiedergeburt“, beschreibt der Journalist den Moment, als er sich endlich wieder sicher fühlte. Das Wort „Geborgenheit“ gibt es im Englischen, das Tenagne noch besser spricht als Deutsch, nicht, seine Worte sind Schutz („protection“) und Sicherheit („security“). Für ihn ist diese Kirchengemeinde Heimat geworden – hier hofft er auf Heilung seiner seelischen Wunden.

Der 35-Jährige will aber nicht nur von der Gemeinschaft profitieren. Er begann, in der Kleiderkammer und der Lebensmittel-Ausgabe zu helfen; inzwischen ganz offiziell im Bundesfreiwilligendienst, das ermöglicht ihm ein kleines Einkommen und eine Wohnung. „Jetzt habe ich alles, was ich brauche“, sagt er.

Zemenu Tenagnes Traum ist es, wieder als Journalist zu arbeiten, etwa für den amharischen Dienst der Deutschen Welle (also in seiner Muttersprache). Und wer weiß: Vielleich hört das ein kleiner Junge und wird von seinem Vater ermutigt: „Du kannst auch Journalist werden.“                

Stichwort Kirchenasyl:
Kirchenasyl hat eine lange Tradition, nach der ein heiliger Raum besonderen Schutz gibt. Heute bieten Kirchengemeinden nach sorgfältiger Abwägung Kirchenasyl als letzten Versuch an, damit Schutzbegehren von Geflüchteten erneut sorgfältig geprüft werden. Die Betroffenen sind währenddessen vor Abschiebung sicher. Das Kirchenasyl bedeutet nicht, dass Menschen vor den Behörden versteckt würden, vielmehr wird der Aufenthalt der betreffenden Person in kirchlichen Räumen dem Bundesamt für Migration und Flucht mitgeteilt. Die Diakonie berät Gemeinden, die Kirchenasyl anbieten wollen. (ode)

Quelle: Olaf Dellit/blick in die kirche magazin – www.blickindiekirche.de

Zurück