Es war eine sehr gute Entscheidung
Kathrin, Diakonissen-Mutterhaus Hebron Marburg
Liebe Kathrin, in welchem Arbeitsbereich sind Sie als Freiwillige derzeit tätig?
Ich arbeite im Bereich häusliche Pflege im Feierabend-Haus des Diakonissen-Mutterhauses Hebron. Dort leben ca. 45 Diakonissen, die versorgt, betreut und teils gepflegt werden. Derzeit bin ich die einzige Freiwillige, normalerweise leisten aber immer wieder auch FSJler/innen ihr Jahr dort ab.
Bitte erzählen Sie uns etwas zu Ihrem Alltag dort.
Mein Alltag besteht in der Assistenz der Pflege und in der Begleitung der Bewohnerinnen bei Spaziergängen, Arztbesuchen und in der Freizeitgestaltung. Ich kümmere mich um Frühstück, Mittagessen und Abendbrot, bereite diese Mahlzeiten zum Teil selbst zu. Ich unterstütze die Damen, die zum Teil ihr Essen auf den Zimmern einnehmen, indem ich es mundgerecht anrichte und bei Bedarf das Essen anreiche. Ich helfe bei allen Arbeiten der Grundpflege wie waschen, duschen, an- und auskleiden, im Bett lagern. Ich bringe die Diakonissen abends auch zu Bett. Da ich keine Fachkraft bin, wird darauf geachtet, die Wünsche und Bedürfnisse der Diakonissen hinsichtlich der Pflege zu berücksichtigen. Manche Aufgaben dürfen ausschließlich von examinierten Pflegekräften wahrgenommen werden.
Roter Faden im Alltag ist der persönliche Glaube. Das Christsein im besonderen Auftrag als Diakonisse ist unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens. Andachten, Fürbitten, gemeinsames Beten, Singen, Gottesdienste sind wichtige Programmpunkte im Tagesablauf. Auch hier gibt es einiges zu tun für mich: Begleitung und Abholung zum Andachtssaal (es gibt einige Rollstuhlfahrerinnen), rechtzeitiges Zurechtmachen (je nach Tag oder Feiertag gibt es eine entsprechende Tracht und die obligatorische Haube).
Außerhalb der vorgegebenen Abläufe von Aufstehen, Essen und Zubettgehen bin ich jederzeit Ansprechpartnerin für Wünsche, Bitten, kleine und größere Nöte.
Das alles geht im wöchentlich wechselnden Schichtdienst vor sich. Frühschicht 6:15 bis 13:45, Spätschicht 13:15 bis 20:45. Jedes 2. Wochenende ist frei.
Haben Sie sich diese Tätigkeit selbst ausgesucht?
Ja, in der Pflege zu arbeiten habe ich mir selbst ausgesucht.
Wie kamen Sie auf die Idee, einen Bundesfreiwilligendienst zu machen?
Die Idee kam ursprünglich nicht von mir, sondern von meiner Einsatzstelle. Ursprünglich hatte ich an ein Mitleben in der Diakonissen-Gemeinschaft gedacht, nach einigen Gesprächen kam dann der Gedanke an ein Jahr im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes. Dies schien für beide Seiten eine gute Lösung zu sein und so wurde das gemeinsame Jahr dann auch geplant und verwirklicht. Persönlich stand bei mir der Wunsch dahinter, sich gewissermaßen eine Auszeit vom bisherigen Leben und Alltag zu nehmen, um Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln.
Wie lange dauert Ihr Freiwilligendienst?
Ich habe von Anfang an ein Jahr fest eingeplant, weil es zum einen für meine persönliche Lebensplanung ein guter Zeitrahmen zu sein schien und zum anderen eigentlich das Minimum ist, wenn man eine Einrichtung mit allem, was dahintersteht und sie ausmacht, kennen lernen möchte. Ein halbes Jahr ist einfach zu kurz. Nach Verlängerung wird mein BFD nun genau 12 Monate dauern.
Was lernen Sie aus Ihrem BFD, was ist neu für Sie, was vielleicht schwierig?
Für mich persönlich ist der BFD uneingeschränkt eine Bereicherung und eine Möglichkeit, sich abgesichert (zum Beispiel durch die Krankenversicherung) in einem völlig unbekannten, den individuellen Interessen und Wünschen entsprechenden Umfeld zu engagieren, Neues zu sehen, zu lernen. Aus meinem BFD lerne ich bisher, die Egozentrik auszuschalten -oder auch nur auszublenden. Gleichzeitig ist dieses Jahr ein „Luxus“, man darf sich ausschließlich mit dem beschäftigen, was man sich ausgesucht hat. Das hat man in der „normalen“ Arbeitswelt meistens so nicht. Tatsächlich nehme ich bisher aus meinem BFD mit, dass ich meine eigene Person inklusive aller Probleme nicht ins Zentrum stelle. Da gibt es so viel anderes, andere beladene Menschen. Und genau diese Menschen sind es, die mir jeden Tag sagen, dass es schön ist, dass ich dort gelandet bin. Neu ist also sicherlich bei meinem vermutlich recht speziellen BFD, dass ich täglich eine ganz unerwartete, reiche Wertschätzung erfahre. Dass mir täglich dafür gedankt wird, dass ich da bin.
Schwierig ist der Umgang mit Demenz, Ungeduld und manchmal altersbedingter Frustration, Bitterkeit und Depression. Nicht ganz einfach war es auch, den eigenen Platz im Team zu finden. Es ist sicher ein Phänomen, das sich in vielen Einrichtungen, die Freiwillige beschäftigen, so wieder findet: Im Grunde ist der Freiwillige stets nur zusätzlich zum Fachpersonal einzusetzen. Dies verschwimmt aber mit der Zeit, und man sieht sich plötzlich in Krankheits- oder Urlaubszeiten als vollwertige Kraft eingeplant, die aber einige Aufgaben nicht erledigen darf. Damit tat ich mich ab und zu schwer.
Wie erleben Sie die Anleitung zu Ihrer Arbeit?
Ich bin umfassend eingearbeitet worden. Die Ansprechpartnerin in meiner Einrichtung ist stets erreichbar und hat ein offenes Ohr. In schwierigen Situationen wird man nicht allein gelassen. Sollte ein Freiwilliger Probleme oder aber nur Fragen haben, so wäre er in meiner Einrichtung hinsichtlich der Anleitung sehr gut aufgehoben.
Auch die Betreuung durch die Evangelischen Freiwilligendienst, insbesondere den zuständigen Referenten Jörg Schäfer war verlässlich und kompetent. Bei Sorgen oder Problemen im BFD kann man sich immer dorthin wenden und findet ein offenes Ohr.
Ihr persönliches Fazit?
Ich habe dieses Jahr im Freiwilligendienst bewusst gewählt, ebenso die Einrichtung – ein krasser Gegensatz zu meinem bisherigen Leben. Und es war eine sehr gute Entscheidung. Allerdings konnte ich dieses Jahr nur verwirklichen, weil ich finanzielle Rücklagen und eine Familie habe, die mich unterstützt. Andernfalls kann sich das niemand leisten: Ein Jahr nur ein Taschengeld zu beziehen, auch wenn Kost und Logis freigestellt sind. Als Erwachsenem bleiben einem trotzdem zu viele feste Kosten (Versicherungen, Kindesunterhalt etc.), die vom Taschengeld nicht zu bestreiten sind. Das geht nur, wenn man zuhause wohnt (bei den Eltern – was aber für eine 40-jährige Frau eher ungewöhnlich ist) oder einen Hauptverdiener (Ehemann) neben sich hat. Ich bin aber froh, dass ich dieses Jahr verwirklichen konnte. Es hat mich persönlich und beruflich einen großen Schritt weitergebracht, in der Lebensmitte ist das nicht selbstverständlich.
Meine Perspektive: Ab Januar beginne ich meine Ausbildung zur Pflegefachkraft in Hamburg!
Gibt es für Sie kritische Punkte am Bundesfreiwilligendienst?
Bei den monatlichen Studientagen habe ich mit Enttäuschung festgestellt, dass häufig Menschen im Bundesfreiwilligendienst landen, die diesen Dienst eher unfreiwillig tun. Schwer vermittelbare, oft lange Zeit Arbeitslose, die nun in einer sozialen Einrichtung arbeiten in der Hoffnung auf eine Anschlussbeschäftigung. Das erfolgt aber in den seltensten Fällen, lieber stellt die Einrichtung dann den nächsten BFDler ein. Ähnliches habe ich in der Juli-Ausgabe von Chrismon plus gelesen. Da läuft etwas schief. Der BFD definiert sich ja selbst als freiwillig. Die Freiwilligkeit bzw. die freiwillige Entscheidung für einen solchen Dienst müssen nach meiner Meinung eingehender geprüft werden. Vor allem bei Menschen, die gleichzeitig bei der Arbeitsagentur als arbeitssuchend gemeldet sind. Der BFD läuft Gefahr, missbraucht zu werden.
(Das Interview führte Jens Haupt.)