Was fange ich mit meinem Leben an?
Anna, 20 Jahre, Behindertenhilfe Hephata, Schwalmstadt
Was möchte ich mal werden? Was mache ich nach der Schule? Diese Fragen stellen sich wohl alle irgendwann einmal. Im letzten Jahr waren diese Fragen die wichtigsten für mich. In der Schule bereiteten wir uns auf unser Abitur vor und alle fingen an, sich Gedanken darüber zu machen, was danach kommen sollte. Im Bekanntenkreis wurde die Frage „Und – was kommt nach der Schule?“ schon fast anstrengend.
Möglichkeiten gibt es viele, Angebote ebenso. Es fanden zahlreiche Informationsveranstaltungen über Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten statt. Doch irgendwie fand ich dabei nicht das, was ich mir für mich vorstellen konnte. Die Möglichkeit, ein FSJ zu machen, erschien mir deshalb perfekt. Von einer Bekannten hatte ich bereits viel Positives gehört und mich deshalb bewusst für das FSJ nach der Schule entschieden. Die Aussicht darauf, viele neue Eindrücke zu bekommen, viel zu lernen und Menschen aktiv zu helfen, sind nur einige Gründe für diese Entscheidung.
Von den Evangelischen Freiwilligendiensten wurde mir Hephata als Einsatzstelle angeboten. Gehört hatte ich bisher nichts von dieser Einrichtung, doch ich beschloss mich näher damit zu befassen. Als ich dann mein erstes Gespräch mit meinem Anleiter in Hephata hatte war ich sofort begeistert. Dieser riesige Komplex stellt sich dar wie ein eigenes Dorf. Ein „geschützter Bereich“ in dem jeder so sein darf wie er ist.
In der Einsatzstelle selbst habe ich mich dann recht schnell zurechtgefunden und wohl gefühlt. Anfangs waren natürlich auch viele Ängste dabei. Ich meine damit keineswegs Berührungsängste mit den Menschen und ihren Behinderungen, sondern die Anforderungen, die ich an mich selbst gestellt habe. Ich wollte möglichst schnell alles lernen und möglichst selbständig werden. Durch die MitarbeiterInnen wurde mir das, denke ich, gut ermöglicht. Das Team ist relativ jung und so fand ich guten Anschluss. Die Einarbeitung verlief schrittweise - von einem „ins kalte Wasser springen“ war keine Spur. Meine Sonderstellung als FSJlerin im Team ist mir zwar bewusst und wird mir auch vermittelt, jedoch im positiven Sinne. Ich fühle mich trotzdem als ein ernst genommenes Glied im Team.
Ich habe in den ersten Monaten bereits viel gelernt und Erfahrungen gesammelt, die mir im späteren Berufsleben sicherlich hilfreich sein können. In Hephata herrscht eine freundliche Stimmung, die das Gefühl vermittelt, eine große Familie zu sein. Man trifft die Einwohner, unterhält sich oder grüßt einfach nur im Vorbeigehen. Diese Dorf-Atmosphäre faszinierte mich schon zu Beginn und sie tut es jeden Tag wieder. Erfahrungen und viele neue Eindrücke gewinnt man immer wieder durch den Kontakt mit den Menschen mit ihren kleinen und großen Besonderheiten und vielleicht auch manchmal Macken, die sie haben.
In der Gruppe, in der ich arbeite, habe ich die Bewohner bereits sehr ins Herz geschlossen. Alle sind schwerst-mehrfach-behindert, sitzen im Rollstuhl und können nicht reden. Meine Wahrnehmung hat sich dadurch verändert. Ich achte stärker auf die Körpersprache der Menschen und sehe einiges mit anderen Augen. Die Herausforderung, zu versuchen, diese Menschen ein wenig zu verstehen und ihnen alles so angenehm wie möglich zu gestalten, fasziniert mich.
Wichtig sind für mich deshalb auch die Seminare. In Gesprächen mit der Anleiterin und den anderen FSJlerInnen kann ich vieles verarbeiten oder neue Sichtweisen gewinnen.
Einfach ist die Arbeit, die wir alle während unseres sozialen Jahres verrichten, sicherlich nicht. Viele Bekannte reagieren verstört darauf, dass ich freiwillig so etwas mache. Meine Mutter berichtet mir immer wieder, dass Leute sie teilweise mit entsetztem Blick ansehen, wenn sie hören, wo ich mich einsetze. Ich halte genau das, was ich tue, für wichtig – für mich und für andere.
Überbezahlt wird man nicht gerade, aber es genügt, um leben zu können. Und darum geht es ja auch gar nicht. Es geht für mich nicht darum, viel Geld damit zu verdienen, sondern darum, für Menschen da zu sein, ihnen zu helfen und sie so gut es geht in ihrem Alltag zu unterstützen.