Mein Leben mit Bambi – übernachten im Stall
Timo, 20 Jahre, „Alte Fasanerie“ Hanau
Mein Name ist Timo, ich bin FÖJler und arbeite im Wildpark ‘‘alte Fasanerie‘‘ in Hanau. Mitte September haben meine Kollegen ein Rotwildkalb aus dem Gehege seiner Artgenossen geholt, da es offensichtlich nicht gesäugt wurde. Mir und einem weiteren FÖJler wurde die Aufgabe erteilt, zu versuchen, dem Kalb die Flasche zu geben. mehr
Das war erst mal nicht so einfach. Das Kalb Bambi, ein junger Hirsch, musste für die Fütterung gefangen, festgehalten und unter Zwang an die Flasche gebracht werden. Da er jetzt in der Kranichvolliere gehalten wurde, und ich für diese zuständig war, hatte ich die Möglichkeit alleine bei ihm zu sein und schon am zweiten Tag fing er an Vertrauen zu mir aufzubauen. Das machte sich bemerkbar indem er, wenn er Angst hatte weil Besucher an den Zaun gekommen sind, zu mir gekommen ist.
Von da an konnte ich auch alleine vorsichtig an ihn ran gehen, ohne dass er weglief. Also habe ich auch alleine versucht zu füttern. Nur getrunken hat er nicht wirklich. Es wurde vermutet, dass er die Woche nicht mehr überleben würde. Doch am dritten Tag bin ich mit meiner Chefin zusammen in das Gehege gegangen und sie zeigte mir, wie man mit den Tieren umgehen muss, um sie an die Flasche zu gewöhnen. Die Methode kam mir erst mal etwas zu hart vor, aber als sie dann weg war hab ich es trotzdem genau so gemacht. Nach kurzer Zeit fing er an, an der Flasche freiwillig zu nuckeln und saugte die Flasche in Sekundenschnelle leer. So bestand wieder Hoffnung für den kleinen Kerl, und schon am nächsten Tag begann die Prägung.
Eigentlich wurde gesagt, dass es keine Prägung mehr geben würde. Doch als er mir überall hin gefolgt ist, wenn ich in seinem Gehege war, war klar, dass diese noch stattfinden könnte. So war es dann auch. Jetzt wurde ich vor die Wahl gestellt. Übernehme ich die Verantwortung für das Tier, schlafe für einige Wochen im Wildpark und füttere ihn Tag und Nacht, oder füttere ich ihn nur in meiner Arbeitszeit und hoffe, dass er trotzdem überlebt. Also habe ich mich entschlossen mein Privatleben für einige Zeit zurückzustellen und mein Leben diesem Tier zu widmen. Fütterungszeiten waren von nun an alle drei Stunden Tag und Nacht. Meine normale Arbeit im Wildpark von Montag bis Freitag sollte aber auch nicht darunter leiden.
So begann eine harte Zeit. Immer wenn ich zu Bambi gegangen bin, ihn gefüttert und seinen Bauch massiert habe, damit seine Verdauung in Schwung kommt und ich seinen Kot kontrollieren kann, ist er mir wenn ich wieder raus wollte bis an den Zaun gefolgt und hat mir hinterher gerufen. Es tat mir jedes Mal leid ihn alleine zu lassen. In den ersten 1 bis 2 Wochen habe ich bei ihm in der Hütte geschlafen, die ich ihm mit Stroh ausgelegt und mit Ballen zum Sichtschutz eingerichtet hatte. Nach ein paar Tagen hat Bambi Durchfall bekommen. Das ist durch die Futterumstellung normal, aber trotzdem lebensgefährlich für das Kalb, so meine Chefin. Also ging jetzt der Kampf gegen den Durchfall los. Ich habe ihm ein homöopathisches Mittel in die Milch gerührt, was aber nicht viel geholfen hat. Ich habe angefangen mit ihm im Wildpark Spazieren zu gehen damit er Muskeln aufbaut. Bei unseren Spaziergängen waren wir nicht nur die Attraktion für die Besucher, auch für alle anderen Tiere an denen wir vorbei liefen. An einem Samstagmorgen bin ich zu ihm und merkte, dass er taumelte und nicht ordentlich laufen konnte. An diesem Wochenende hatte ein Veterinärmedizinstudent, ein früherer FÖJler, gearbeitet. Ich merkte über den Tag, dass der Zustand meines ‘‘Babys‘‘ sich verschlechterte. Mein Kollege meinte, dass Bambi zu wenig Wasser im Körper habe. Also ist er zu unserem Tierarzt losgefahren und hat ein Mittel geholt das wir unter die Haut an den Rippen spritzen sollten. Es sollte ihm etwas Flüssigkeit und Energie geben. Das klappte auch kurzzeitig. Doch dann wurde es schlagartig wieder schlechter und Bambi hat nicht mal mehr aus der Flasche getrunken. Wir dachten, dass er die Nacht nicht überleben würde. Er konnte nicht mehr alleine aufstehen und wirkte apathisch. Jedes Mal wenn ich in dieser Nacht zu ihm bin und ihn füttern wollte, habe ich damit gerechnet ihn tot aufzufinden. Es hätte mir extrem weh getan, da ich in dieses Tier schon sehr verliebt war. Sonntagmorgen haben wir ihm nochmal die Spritze unter die Haut gegeben.
Getrunken hat er immer noch nichts. Wenn die Tiere keine Nahrung mehr zu sich nehmen wollen, bedeutet das, dass sie aufgegeben haben. Und dann muss man dafür sorgen, dass das Tier seinen Überlebenswillen wieder erhält. Zum Glück war Sonntag und ich hatte viel Zeit mich um Bambi zu kümmern. Ich habe den ganzen Vormittag bei ihm verbracht und hab ihn immer wieder hochgehoben, ihn festgehalten und bin mit ihm durchs Gehege gelaufen in der Hoffnung, dass ihm das irgendwas bringt. Als wir dann so um die Mittagszeit mit einem Rundgang fertig waren und ich ihm mal wieder die Flasche angeboten habe, hat er sie wieder angenommen und sein Zustand war bis zum Montagmorgen wieder stabil. Den Durchfall hab ich nach einiger Zeit mit einer Mischung aus Lämmermilch, Haferschleim, Stullmisan und ab und zu einer Kohletablette in den Griff bekommen. In der 4. Woche habe ich angefangen abends mit ihm joggen zu gehen. Außerdem musste ich ihn daran gewöhnen auch feste Nahrung zu sich zu nehmen. Natürlich hat er von selbst angefangen Gras zu fressen und Erde zu lecken. Das machen sie um bestimmte Nährstoffe aus der Erde zu bekommen. Doch was Pflanzen und Bäume anging, musste ich ihm zeigen was er fressen darf und was nicht. Also habe ich die Blätter von den Bäumen gepflückt, in den Mund genommen und ihm angeboten. Das klappte auch auf Anhieb gut. Jetzt stellte ich ihm regelmäßig blätterreiche Äste ins Gehege, da er langsam lernen musste mehr feste Nahrung als Milch zu sich zu nehmen.
Die Medien hatten auch von Bambi und mir erfahren und so kam es, dass wir zwei in der Offenbachpost und in der Bildzeitung standen und auf Rhein-Main-TV, hr und Sat1 gezeigt wurden. Anfang November habe ich angefangen ihn an die Rotwildherde zu gewöhnen. Die Fütterungen wurden weniger und mein Leben ausschließlich im Wildpark neigte sich dem Ende zu. Ich freute mich auf Zuhause und meine Freunde aber andererseits wusste ich, dass ich Bambi ziemlich vermissen werde. In den letzten Tagen habe ich Bambi schon dauerhaft im Rotwildgehege gelassen. Es schien als wäre er halbwegs akzeptiert in der Herde und wenn er mal alleine war, dann war es weil er es so wollte. Ich habe ihn die nächsten Wochen natürlich weiter beobachtet und er hat sich weiterhin gut entwickelt und fühlt sich meines Erachtens auch sehr wohl in der Herde. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass der Aufwand und die Dinge, die ich geopfert habe um meinem Bambi das Leben zu retten, nicht umsonst gewesen sind. Wenn ich heute zum Rotwildgehege gehe und meinen Schützling rufe, kommt er immer noch angerannt und freut sich, mich zu sehen. Fast so sehr wie ich mich freue.